Ereignisse, Personen und Prozesse der türkischen Geschichte

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Sonntag, 6. November 2011

Historischer Background der Türkei von 1918 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts (Teil III)

Mustafa Kemal, nach dem Ersten Weltkrieg im Range eines Generals, setzte die Regierung nach der Niederlage 1918 als Mittelsmann ein. Allerdings erfüllte Atatürk die an ihn herangetragen Aufgaben nicht, sondern begann schnell mit dem Aufbau einer Widerstandsfront gegen die feindlichen Besatzungsmächte.
Mit diplomatischen und militärischen Geschick gelang es ihm und seinen Anhängern die Türkei nach der Katastrophe von 1918 schnell in die internationale Staatengemeinschaft einzubinden. So schloss Atatürk unter anderem Verträge mit dem isolierten kommunistischen Russland. Stellte sich dann aber auch an die Seite des Westens, die einen starken Pufferstaat gegenüber dem erstarkten Russland brauchten. Bis 1923 schaffte es die neue Türkei sich gegen die Armenier, Griechen und Britannien im Schlachtfeld durchzusetzen und konnte einen Friedensvertrag in Lausanne unterschreiben, der sie vom Diktatfrieden von Sevres befreite und die Autonomie der Türkei anerkannte. Im Gegenzug musste auch die Türkei Zugeständnisse einräumen und verzichtete auch ihre Gebietsansprüche in Arabien und auf dem Balkan.
Nachdem die Türkei als Nationalstaat anerkannt war, begann Atatürk mit einer Vielzahl von Reformen. Sein Ziel war dabei, die Türkei nach westeuropäischem Vorbild umzubauen. Als Baumeister der neuen Türkei ließ er die Nachnamen einführen, das lateinische Alphabet, den Sonntag als freien Tag in der Woche, eine Vielzahl von Kleidervorschriften, das Frauenwahlrecht sowie eine Vielzahl weiterer Reformen.
Das neue Staatssystem der Türkei wurde auch folglich nach seinem Gründer Kemalismus genannt. Die sechs Prinzipien des Kemalismus waren: Republikanismus, Nationalismus, Säkularismus, Etatismus (der Staat greift an wichtigen Stellen in die Wirtschaft ein und delegiert sie), Reformismus, Populismus (die Reformen sollten von der breiten Masse der Bevölkerung getragen werden).
Weil Atatürk schon in relativ jungen Jahren starb, war es ihm nicht mehr vergönnt, dass er seine Reformen lange genug begleitete und lenkte. Nach seinem Tod 1938 setzte eine politische Phase der Instabilität ein. Sein Amtsnachfolger Ismet Inönü verfügte nicht über die politische Kraft wie Atatürk. Doch gelang es ihm mit einer Schaukeltpolitik sich erfolgreich aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten. Zudem etablierte er zum ersten Mal erfolgreich eine Opposition im Parlament, die bei den Wahlen im Jahr 1950 sogar die Regierungsmehrheit erzielte. Die Demoklratische Partei (DP) stellte damit mit Adnan Menderes den Präsidenten.

„Zurück zu Atatürk!“ oder doch nicht?


Nachdem Menderes despotisch herrschte und das Militär für seine Zwecke instrumentalisieren wollte, erhoben sich die Generäle, die sich als oberste Wächter des Erbes Atatürks und Elite des Landes sahen, gegen den Präsidenten. Im ersten Putsch der Generäle 1960 riss das Militär die politische Macht an sich, verlangte eine neue Verfassung und eine grundlegende Reform des Staatssystems. In der Zeit des ersten Militäraufstands entstanden auch die meisten Büsten und Denkmäler Atatürks, die bis heute auf vielen öffentlichen Plätzen in der Türkei zu sehen sind.
Die Militärs sollten noch zweimal, und zwar in den Jahren 1971 und 1980, die Herrschaft übernehmen. Politische und wirtschaftliche Instabilität erforderten nach Ansicht der Generäle jeweils zu einer Neuausrichtung bzw. Umkehr zu den Wurzeln des Kemalismus. In den 1970er Jahren gelang es auch erstmals islamistischen Parteien sich in der Politiklandschaft der Türkei zu etablieren. Weiterhin gelang der Türkei durch eine umfassende Wirtschaftsreform in den 1980er Jahren der ökonomische Aufstieg. Dieser setzte sich in den 1990er Jahren fort, obwohl die Türkei in dieser Zeit politisch wieder in einem Chaos zu versinken drohte.
Mit dem Sieg 2002 Erdogans bei den Parlamentswahlen errang die AKP als islamische Partei die Führung im Staat, die sie bis heute innehat. Erdogan stabilisierte die Türkei als Wirtschaftsmacht im Nahen Osten. Das Magazin „Stern“ titulierte in seiner Ausgabe vom 3. November 2011 sogar: „Turbo-Staat Türkei. Vom Außenseiter zur Großmacht – das Land boomt und ist jetzt Vorbild für die arabische Welt.“
Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs hat die Türkei weiterhin eine Menge Probleme zu bewältigen. So belasten den Staat eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die Kurdenproblematik ist ungelöst, die Rolle des Militärs im Staat bedarf einer Klärung, das Kopftuch darf an Hochschulen nicht getragen werden, was immer wieder zu einer Debatte führt, genauso ist die staatliche Überwachung der Religion ein Streitpunkt und schließlich sei hier noch die ewig unbeantwortete Frage zu erwähnen: Kommt die Türkei in die EU oder nicht. Und abschließend ist noch anzumerken, dass der Westen immer noch nicht so genau weiß. Wie er die Rolle und Person Erdogans und seiner Partei der AKP einzuschätzen hat.

1 Kommentar:

  1. Ich habe 4 Jahre in der Türkei gelebt. In unterschiedlichen Marinas auf dem eigenen Boot.
    Die Menschen sind freundlich und hilfsbereit. Der öffentliche Verkehr ist fantastisch. Reisen mit den modernen Überlandbussen sind entspannend und die Dolmusche sehr praktikabel.
    Politisch hat Erdokan viel erreicht. Es war sicher nicht einfach, einen Industriestaat zu formen und gleichzeitig die übermächtige Stellung der Militärs einzuschränken. Der "Tiefe Staat" ist jetzt wohl auf dem Rückzug.
    Ich wünsche der türkischen Bevölkerung weiterhin große Erfolge. Wir sehen uns eines Tages hoffentlich in Europa.
    Freundlichen Gruss
    Dieter Maetz

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