Ereignisse, Personen und Prozesse der türkischen Geschichte

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Das Türkeigeschichtsblog liefert Kommentare, Gedanken, Rezensionen, Schilderungen und vieles mehr zur türkischen Geschichte.


Donnerstag, 11. August 2011

Kindheit und Jugend von Mustafa Kemal

(Teil 2)

Herkunft und Familie

Der genaue Zeitpunkt, wann Mustafa geboren wurde, ist unbekannt. Datiert wird seine Geburt auf das Jahr 1880 oder 1881. Seine ersten Lebensjahre verbrachte Mustafa, wie er von seinen Eltern Zübeyde und dem Zollbeamten Ali Rıza genannt wurde, in der Hafenstadt Saloniki (Thessaloniki). Die Hafenstadt in Makedonien hatte vor 1900 rund 100.000 Einwohner und zählte aufgrund ihrer Lage zu den aufstrebenden Hafenstädten mit einer florierenden Wirtschaft. Auch etablierte sich in der Stadt eine freiere Presse und liberale Stadtgesellschaft, wobei die verschiedenen Religionsgemeinschaften jedoch strikt voneinander getrennt lebten.

Die Mutter von Mustafa hatte vor ihm bereits drei Kinder zur Welt gebracht, von denen allerdings keines überlebte. Nach ihm gebar Zübeyde noch zwei Mädchen, von denen eine ebenfalls frühzeitig verstarb. Nach dem frühen Tod des Vaters 1888, Mustafa war gerade sieben oder acht Jahre alt, sollte seine Mutter später Ragıb Efendi heiraten. Über das Verhältnis zu seinem Stiefvater herrschen unterschiedliche Meinungen. Während Kreiser feststellt, dass Mustafa zunächst den neuen Vater nicht akzeptierte, ihn aber schließlich doch wohlgesonnen war; urteilt Gülbeyaz, dass er mit Ragıb nie „unter einem Dach schlief“.

Schullaufbahn

Mustafa besuchte zuerst die mekteb (Schule) und ging danach auf die Şemsi Efendi-Schule. Später wechselte er auf eine staatliche Schule mit dem Namen Feyziye, weil seine Eltern das Geld für den Privatunterricht an der Şemsi Efendi-Schule nicht mehr aufbringen konnten. Mustafa war ein sehr guter Schüler mit sehr guten Noten, hatte aber zuweilen Probleme mit seinen Lehrern und galt bei seinen Mitschülern als Eigenbrötler.

Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem damaligen Lehrer Kaymak Hafız, verließ Mustafa die Schule und kehrte nicht mehr an sie zurück. Stattdessen schrieb er sich, zunächst gegen den Willen seiner Mutter, an einer Vorbereitungsschule für das Militär ein, der Askeri Rüşdiye. Hier fand Mustafa Bestätigung für seine Leistungen und Fähigkeiten. Zudem wurde ihm schnell Verantwortung übertragen, indem er das Amt eines müzakereci (Tutor) erhielt. Auch aufgrund des Erfolges akzeptierte seine Mutter den Entschluss ihres einzigen Sohnes sich zum Soldaten ausbilden zu lassen. Mit dem Eintritt ins Militär begann der Aufstieg des Mustafa Kemal, wie er sich seit seiner Schulzeit nannte. Die vorbereitende Soldatenschule beendete er als vierbester unter allen Absolventen im Jahr 1896.

Generell ist wenig über die Kindheit Atatürks bekannt und zum größten Teil ist das Wissen über seine Jungend einzig durch seine eigenen Schriften und Äußerungen überliefert. Atatürk entstammte einer mittelständischen muslimischen Familie, in der türkisch gesprochen wurde. Auffällig war seine äußere Erscheinung, er hatte blaue Augen und helles Haar wie seine Mutter. Mustafa musste früh lernen mit dem Verlust seines Vaters umzugehen und eigenständig handeln. So traf er auch seine Entscheidung, zum Militär zu gehen, selbstständig und gegen den Willen seiner Mutter. Das Militärwesen muss ihn als Jungen sehr angesprochen haben und er legte bereits frühzeitig seinen beruflichen Werdegang fest, den er danach konsequent verfolgte. Infolge der Bestätigung und des schulischen Erfolgs wurde er noch darin bekräftigt, die richtige Entscheidung für sich getroffen zu haben. Das verspätete Verständnis seiner Mutter für seinen Entschluss dürfte ihn ebenfalls Mut gemacht haben.

verwendete Literatur:


Dietrich Gronau, „Wir werden eine Republik“ – ein Tag im Leben des Kemal Atatürk. Eine biografisches Porträt, Freiburg 2009.
Halil Gülbeyaz, Mustafal Kemal Atatürk. Vom Staatsgründer zum Mythos, Berlin 2003.
Klaus Kreiser, Atatürk. Eine Biographie, München 2008.
Andrew Mango, Atatürk. The Biography of the Founder of modern Turky, London 1999.

Freitag, 5. August 2011

Im Anfang war Atatürk. (Teil 1)

Die Geschichte der türkischen Republik ist mit einem Namen verbunden: Mustafa Kemal Atatürk - Vater der Türken und Gründer des modernen türkischen Staates. Wer war dieser Mann der 1880 oder 1881 in Saloniki (das genaue Geburtsdatum ist unbekannt) geboren wurde, und einer muslimischen Familie aus dem Mittelstands entstammte. Viele Mythen ranken sich um das erste Staatsoberhaupt der Türkei, welches das osmanische Reich radikal reformierte und sein Volk an den Westen und seine Weltauffasung anband.

Atatürk gab sich stets große Mühe sein Bild des Visionärs und weltmännischen Staatsmannes in der türkischen Öffentlichkeit zu festigen und im Geschichtsgedächtnis seiner Landsleute fest zu verankern. Dabei sah sich Atatürk vor allem als Retter und Wegbereiter der türkischen Nation, die er nach seinen Vorstellungen fast im Alleingang nach dem Ersten Weltkrieg gründete. Eine Darstellung der Ereignisse nach 1918 aus der Sicht des Republikgründers und ein wichtiges Dokument über die Person Atatürk ist die 37-stündige "Große Rede", die er zwischen dem 15. und 20. Oktober 1927 hielt. Darin erklärte er, dass "es für die türkische Nation besser ist, unterzugehen, statt in Gefangenschaft zu leben. Demzufolge konnte es nur heißen: Unabhängigkeit oder Tod!" Die martialischen Wörter erinnern an die Ausprüche anderer Revolutionäre, wie etwa die der kubanischen Umstürzler, die für sich ebenfalls die Parole ausgaben: Tod oder Siegen! Und dabei Siegesgwiss noch anfügten: Venceremos! (Wir werden siegen!)

So sah sich Atatürk als siegesgewißer erster Revolutionär der modernen Türkei und strebte danach, dass sein politisches Erbe gewahrt blieb: "Unser bis heute erreichtes Ergebnis ist in der Gegenwart für das Erwachen aus nationalem Leid, unter dem unsere Nation seit Jahrhunderten gelitten hat, und für das Blut, mit dem jeder Fußbreit des Bodens dieses teuren Vaterlandes getränkt ist. Dieses Ergebnis vertraue ich der türkischen Jugend an. Oh, türkische Jugend! Deine erste Pflicht ist es, die türkische Unabhängigkeit und die Türkische Republik auf ewig zu beschützen und zu verteidigen."

Atatürk betonte in seiner Rede, dass die türkische Jugend die Aufgabe übernehmen solle die Ideen der Republik zu bewahren, nicht aber das Militär. Allerdings verstanden sich die türkischen Generäle und ihr Gefolge als einzige Hüter des Nachlasses Atatürks, eine Aneignung von Geschichte, welche die türkische Gesellscchaft bis heute belastet.

Doch zunächst soll der vielschichtigen Person Kemal Atatürk, in den nächsten Kapiteln nachgegangen werden, der zweifellos zu den größten Staatsmännern des 20. Jahhunderts gehört. Dabei soll neben den Erfolgen des Staatsgründers auch die Probleme beschrieben werden, die er den Türken hinterließ.

Zitate zu finden:

Mustafa Kemal Atatürk, Die Große Rede, in: Hundert Jahre Türkei. Zeitzeugen erzählen. Hülya Adak / Erika Glassen (Hg.), Zürich 2010, S. 114-125, hier: S. 120 und 124.