Ereignisse, Personen und Prozesse der türkischen Geschichte

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Das Türkeigeschichtsblog liefert Kommentare, Gedanken, Rezensionen, Schilderungen und vieles mehr zur türkischen Geschichte.


Sonntag, 13. November 2011

Streitfall: Europa und die Türkei – die Türkei und Europa

Soll die Türkei der Europäischen Union beitreten? Diese Frage verharrt nun schon seit den 1950er Jahren einer Beantwortung. Voraussetzungen für eine enge Zusammenarbeit zwischen den Ländern Mitteleuropas und der Türkei schufen bereits die Aufnahme in den Europarat im Jahr 1949 und der Beitritt der Türkei in die Nato 1952. Weiterhin bemühte sich die Türkei seit 1957 darum, in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aufgenommen zu werden. Verhandlungen über einen Beitritt endeten am 12. September 1963 mit der Unterzeichnung eines Assoziationsabkommens, dem so genannten Vertrag von Ankara. Eigentliches Ziel sollte des demnach sein, dass die Türkei ein Mitglied der europäischen Zollunion wird. Aber erst 1995 errichtete man die europäisch-türkische Zollunion, und integrierte die Türkei wirtschaftlich in den europäischen Raum.

Weitere Verhandlungen über den Beitritt zur EU verliefen allerdings schleppend und waren im Ergebnis bis heute offen. So plädierte Österreich und danach auch Deutschland unter der Regierung Merkel für das Konzept einer „privilegierten Partnerschaft“, welchem die Türkei jedoch mit Ablehnung gegenüber steht. Im Sog der Auseinandersetzung um die Beitrittsverhandlungen sowie einem Erstarken der Türkei als starker und gefestigter politischer und wirtschaftlicher Partner innerhalb der Region des Nahen Osten, entwickelte die Türkei ein neues Selbstbewusstsein, dass sie auch als Führungsmacht im arabisch-muslimischen Raum noch stärker nutzen könnte. Zu fragen ist dann auch: Will die Türkei noch in die Europäische Union?
Aufgrund der Finanzkrise und den wirtschaftlichen Problemen innerhalb der EU sind die Fragen um ein weiteres Aufstocken der EU-Mitgliederzahl wohl zunächst für längere Zeit in den Hintergrund getreten.





Beitrittskriterien

Vor allem zwei gleichrangig zu bewertende Kriterien muss die Türkei auf ihrem Weg nach Europa überwinden: inwiefern hat sie demokratische Prinzipien verwirklicht und wie steht es um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Auf ein weiteres drittes Kriterium hat sie allerdings keinen Einfluss: wollen die EU-Länder in Zukunft geographisch bis an den Nahen Osten heranreichen, mit allen politischen Problemen, die damit verbunden sind. Zu fragen ist jedoch hierbei auch, ob es sich die EU überhaupt leisten kann, sich aus den schwierigen außenpolitischen Fragen herauszuhalten.

Zu welchem Entschluss man auch kommt: „Eine eindeutige Pro- oder Kontra-Entscheidung fällt schwer, doch es muß einmal entschieden werden.“ (Leggewie, Die Türkei und Europa, S. 17.).

Literatur:

Claus Leggewie (Hg.), Die Türkei und Europa. Die Positionen, Frankfurt/Main 2004.

Sonntag, 6. November 2011

Historischer Background der Türkei von 1918 bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts (Teil III)

Mustafa Kemal, nach dem Ersten Weltkrieg im Range eines Generals, setzte die Regierung nach der Niederlage 1918 als Mittelsmann ein. Allerdings erfüllte Atatürk die an ihn herangetragen Aufgaben nicht, sondern begann schnell mit dem Aufbau einer Widerstandsfront gegen die feindlichen Besatzungsmächte.
Mit diplomatischen und militärischen Geschick gelang es ihm und seinen Anhängern die Türkei nach der Katastrophe von 1918 schnell in die internationale Staatengemeinschaft einzubinden. So schloss Atatürk unter anderem Verträge mit dem isolierten kommunistischen Russland. Stellte sich dann aber auch an die Seite des Westens, die einen starken Pufferstaat gegenüber dem erstarkten Russland brauchten. Bis 1923 schaffte es die neue Türkei sich gegen die Armenier, Griechen und Britannien im Schlachtfeld durchzusetzen und konnte einen Friedensvertrag in Lausanne unterschreiben, der sie vom Diktatfrieden von Sevres befreite und die Autonomie der Türkei anerkannte. Im Gegenzug musste auch die Türkei Zugeständnisse einräumen und verzichtete auch ihre Gebietsansprüche in Arabien und auf dem Balkan.
Nachdem die Türkei als Nationalstaat anerkannt war, begann Atatürk mit einer Vielzahl von Reformen. Sein Ziel war dabei, die Türkei nach westeuropäischem Vorbild umzubauen. Als Baumeister der neuen Türkei ließ er die Nachnamen einführen, das lateinische Alphabet, den Sonntag als freien Tag in der Woche, eine Vielzahl von Kleidervorschriften, das Frauenwahlrecht sowie eine Vielzahl weiterer Reformen.
Das neue Staatssystem der Türkei wurde auch folglich nach seinem Gründer Kemalismus genannt. Die sechs Prinzipien des Kemalismus waren: Republikanismus, Nationalismus, Säkularismus, Etatismus (der Staat greift an wichtigen Stellen in die Wirtschaft ein und delegiert sie), Reformismus, Populismus (die Reformen sollten von der breiten Masse der Bevölkerung getragen werden).
Weil Atatürk schon in relativ jungen Jahren starb, war es ihm nicht mehr vergönnt, dass er seine Reformen lange genug begleitete und lenkte. Nach seinem Tod 1938 setzte eine politische Phase der Instabilität ein. Sein Amtsnachfolger Ismet Inönü verfügte nicht über die politische Kraft wie Atatürk. Doch gelang es ihm mit einer Schaukeltpolitik sich erfolgreich aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten. Zudem etablierte er zum ersten Mal erfolgreich eine Opposition im Parlament, die bei den Wahlen im Jahr 1950 sogar die Regierungsmehrheit erzielte. Die Demoklratische Partei (DP) stellte damit mit Adnan Menderes den Präsidenten.

„Zurück zu Atatürk!“ oder doch nicht?


Nachdem Menderes despotisch herrschte und das Militär für seine Zwecke instrumentalisieren wollte, erhoben sich die Generäle, die sich als oberste Wächter des Erbes Atatürks und Elite des Landes sahen, gegen den Präsidenten. Im ersten Putsch der Generäle 1960 riss das Militär die politische Macht an sich, verlangte eine neue Verfassung und eine grundlegende Reform des Staatssystems. In der Zeit des ersten Militäraufstands entstanden auch die meisten Büsten und Denkmäler Atatürks, die bis heute auf vielen öffentlichen Plätzen in der Türkei zu sehen sind.
Die Militärs sollten noch zweimal, und zwar in den Jahren 1971 und 1980, die Herrschaft übernehmen. Politische und wirtschaftliche Instabilität erforderten nach Ansicht der Generäle jeweils zu einer Neuausrichtung bzw. Umkehr zu den Wurzeln des Kemalismus. In den 1970er Jahren gelang es auch erstmals islamistischen Parteien sich in der Politiklandschaft der Türkei zu etablieren. Weiterhin gelang der Türkei durch eine umfassende Wirtschaftsreform in den 1980er Jahren der ökonomische Aufstieg. Dieser setzte sich in den 1990er Jahren fort, obwohl die Türkei in dieser Zeit politisch wieder in einem Chaos zu versinken drohte.
Mit dem Sieg 2002 Erdogans bei den Parlamentswahlen errang die AKP als islamische Partei die Führung im Staat, die sie bis heute innehat. Erdogan stabilisierte die Türkei als Wirtschaftsmacht im Nahen Osten. Das Magazin „Stern“ titulierte in seiner Ausgabe vom 3. November 2011 sogar: „Turbo-Staat Türkei. Vom Außenseiter zur Großmacht – das Land boomt und ist jetzt Vorbild für die arabische Welt.“
Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs hat die Türkei weiterhin eine Menge Probleme zu bewältigen. So belasten den Staat eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die Kurdenproblematik ist ungelöst, die Rolle des Militärs im Staat bedarf einer Klärung, das Kopftuch darf an Hochschulen nicht getragen werden, was immer wieder zu einer Debatte führt, genauso ist die staatliche Überwachung der Religion ein Streitpunkt und schließlich sei hier noch die ewig unbeantwortete Frage zu erwähnen: Kommt die Türkei in die EU oder nicht. Und abschließend ist noch anzumerken, dass der Westen immer noch nicht so genau weiß. Wie er die Rolle und Person Erdogans und seiner Partei der AKP einzuschätzen hat.

Dienstag, 1. November 2011

Historische Background (II. Teil): 1453 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts

In der Geschichtswissenschaft gilt das Jahr 1453 als Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Welt veränderte sich im Verlauf des 15. Jahrhunderts: Gutenberg erfand zwar streng genommen nicht den Buchdruck, aber er sorgte dafür, dass sich diese Technik weiter entwickelte und etablierte; 1492 entdeckte Europa Amerika und zum selben Zeitpunkt vertrieb man die letzten Araber von der iberischen Halbinsel. Und mit der Stadt Byzanz hatten die Osmanen eine wichtige christliche Bastion erobert, die ihren politischen Stellenwert nochmals enorm aufwertete. Doch woher kamen die Osmanen, die für einige Jahrhunderte die Geschicke Westeuropas entscheidend mitbestimmten?

Sie waren ein türkischer Volksstamm. Zum ersten Mal erwähnte eine Schrift den Volksstamm der Türken im 6. Jahrhundert, in der sie als Gök-Türken bezeichnet wurden. Im weiteren Verlauf sollten es die Seldschuken sein, die sich von Anatolien her ausbreiteten und ihr Herrschaftsgebiet nach Westen kontinuierlich ausdehnten. Die Rum-Seldschuken (Rum=Rom) begründeten zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert eine anatolische Großmacht, dem Sultanat von Konya. Nach dem Untergang des Reiches der Rum-Seldschuken wanderte eine Vielzahl von türkischen Stämmen nach Anatolien und errichtete eine Vielzahl von kleineren Herrschaftsregionen. Dabei verlor das byzantinische Reich allmählich einen Großteil seines Einflussgebietes an die neuen Machthaber.

Dem Anführer Osman gelang es mehrere türkische Stämme unter seine Herrschaft zu bringen und das nach ihm benannte Osmanische Reich begann seinen Aufstieg. Orhan, ein Nachfolger Osmans, eroberte schließlich die Stadt Bursa und erklärte sie zur Hauptstadt des Osmanischen Reichs. Bereits vor der Eroberung des späteren Istanbuls reichte die Machtsphäre der Osmanen bis nach Südeuropa, somit war die Eroberung von Byzanz ein erster Abschluss und Arrondierung des Staatsgebiets der Osmanen.

Von 1299 bis 1922 regierten insgesamt 37 Herrscher über das Osmanische Reich, wobei sich der Titelbegriff des Sultans (=Alleinherrscher) im 14. Jahrhundert spätestens etablierte. Der Sultan trug ab 1517, nach der Einverleibung Syriens und Ägyptens auch den Titel des Kalifen, und vereinigte sowie präsentierte somit in einer Person sowohl die weltliche als auch die geistliche höchste Autorität. Besonders die Religion spielte in der osmanischen Gesellschaft eine große Rolle, bestimmte sie doch über Ansehen und Stellung in der Gesellschaft. In einzelnen Millets (Glaubensgemeinschaften) unterteilt, lebten die religiösen Volksgruppen innerhalb des Osmanischen Reichs friedlich nebeneinander. Das Sultanat zeigte kein Interesse an der Glaubensbekehrung der Christen oder anderer Religionsangehöriger, die innerhalb des Reiches lebten. Das System der Millets funktionierte bis  ins 19. Jahrhundert relativ reibungslos.

Als Gottesgeißel und Antichrist bezichtigte Westeuropa hingegen die türkische Gefahr aus dem Osten. Allerdings schmiedete das katholische Frankreich im 16. Jahrhundert ein Bündnis mit der Hohen Pforte in Istanbul gegen das ebenfalls christliche Habsburgerreich. In der Frage des politischen Kampfes war man also durchaus bereit die christlichen Glaubensbrüder zu hintergehen. Im 16. Jahrhundert erfuhr das Osmanische Reich sein „Goldenes Zeitalter“, dass allerdings durch die Niederlage 1529 vor Wien und schließlich in der Seeschlacht von Lepanto 1570 erste Dämpfer erhielt. Trotzdem schob sich das Osmanische Reich weiter nach Westen vor und besaß seinen Schwerpunkt in Europa; genau genommen in der Region des Balkans und in Griechenland. Diese Region bezeichnet man auch als Rumelien.
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verschoben sich dann die Machtverhältnisse wieder zugunsten der westeuropäischen Staaten. Nach der Niederlage 1683 vor Wien und dem Friedensvertrag von Karlowitz 1699 mussten die Osmanen zum ersten Mal Gebietsverluste hinnehmen. Das Königreich Ungarn geriet im 18. Jahrhundert in die Hände Österreichs, das zur dominierenden Kraft des Balkanraums wurde. Außerdem hatte sich das Osmanische Reich, dass sich auch durch innenpolitische Querelen und Machtkämpfe selbst schädigte, eines weiteren außenpolitischen Feind zu erwehren. Das Zarenreich drang immer weiter nach Süden vor und beabsichtigte die Kontrolle über das Schwarze Meer für sich zu gewinnen. In 20 Kriegen während des 18. und 19. Jahrhunderts beendete Russland fast die Ära des Osmanischen Reichs. Aber infolge der Unterstützung der westeuropäischen Mächte konnte ein Zusammenbruch des Reichs verhindert werden. Die „Orientalische Frage“, wer also das Osmanische Reich beerbte, war eine der zentralen politischen Fragen des 19. Jahrhunderts. Europa hatte an der Aufrechterhaltung des Osmanischen Reichs ein Interesse, da es als Bollwerk gegen die Expansionsbestrebungen Russlands diente. Seinen Einfluss sicherten sich Frankreich, England und die Niederlande auch wirtschaftlich, indem sie Kapitulationen mit dem Sultan aushandelten. Diese Kapitulationen waren maßgeblich verantwortlich für den wirtschaftlichen Rückstand und die Auflösung der osmanischen Reichsordnung.




Für eine Neuordnung des „kranken Mann am Bosporus“ sorgten zwar einige innere Reformen (Tanzimat), die in einer ersten Veröffentlichung einer Verfassung 1876 mündeten, aber es gelang keine umfassende politische Neuausrichtung des Gesamtsystems. Zudem bekämpfte eine nationalistische türkische Bewegung das Sultanat. 1908 gelang auch der Umsturz der Jung-Türken, die noch im selben Jahr die Verfassung von 1876 wieder erließen, nachdem sie der Sultan Abdülhamid II. zwischenzeitlich aufgehoben hatte. Die Revolution der Jungtürken radikalisierte sich in der Folge und verfolgte das Konzept einer nationalistischen Ideologie, die sich auch in Kampfhandlungen mit den Nachbarstaaten ausdrückte. In den Balkankriegen 1912/1913 verlor das Osmanische Reich aber weitere Gebiete. Und nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs stand das Reich vor seiner endgültigen Auflösung. Im Präliminarfrieden von Mudros 1918 musste das Osmanische Reich seine totale Niederlage einräumen. Der zwei Jahre später erlassene Vertrag von Sevres sah dann schließlich die Aufteilung des Osmanischen Reichs vor. Allerdings hatte seit 1919 der „Nationale Befreiungskampf“ der Türkei schon zu einer anderen politische Gemengelage geführt, die 1920 keine Berücksichtigung in den Verhandlungen gefunden hatte.

Sonntag, 30. Oktober 2011

Historischer Background bis zum Jahr 1453

Neben Ägypten und Babylonien ist das anatolische Hethiterreich das dritte Ursprungsgebiet, wo die Menschheit den entscheidenden Schritt vom Jäger und Sammler zur Sesshaftigkeit vollzog. Die so genannte Neolithische Revolution begann etwa um 12 000 v. Christus und war der Anfang einer neuen Menschheitsepoche.
Einen weitere große Veränderung erfuhr die Region des Schwarzen Meeres in Folge der griechischen Expansion und erlebte einen enormen Wirtschafts- und Handels-Aufschwung. So gründeten die Griechen nach 700 v. Christus eine Vielzahl an Kolonien rund um das Mittelmeer und das Schwarze Meer. Als ein bedeutendes Zentrum avancierte dabei das neu gegründete Byzantion. Auch als das römische Reich die führende Kraft im damals bekannten Erdkreis war, prägte die griechische Kultur weiterhin Kultur und Sprache. Besonders im Mittelmeerraum florierte die Wirtschaft unter dem Einfluss der Römer zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert weiter. Historische Bauten aus der Zeit der Antike, die heute noch in der Türkei vorzufinden sind, stammen aus dieser Blütezeit. Leider sind im 21. Jahrhundert eine Menge dieser historischen Stätten, die sich zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris befinden, von ihrer Zerstörung bedroht. Das Staudammprojekt GAP, das sowohl von der türkischen Regierung als auch von ausländischen Investoren, darunter auch Deutschland, forciert wird, hat bereits in der Vergangenheit alte Zeugnisse der Geschichte unter ihren Wasserfluten für immer zerstört. Nur mit Mühe konnten etwa einige Mosaike gerettet werden und in Gaziantep neu ausgestellt werden.
In der Türkei lassen sich ebenfalls Siedlungen der frühen Ostkirche finden, welche vor allem in Kapadokien sind. So schützten sich die ersten Christen in Höhlenbauten vor Angriffen von arabischen Stämmen. Diese Höhlen sind bis heute nur zu einem kleinen Teil erforscht.
Ebenso hatte sich um 300 das Königreich Armenien etabliert, das als Religion das Christentum führte. Als Handelsmacht konnten sich die Armenier sehr gut in ihrer Region behaupten und hatten auch keine großen politischen Probleme mit anderen Stämmen, die dem Islam angehörten. Dieses friedliche Zusammenleben sollte sich im Osmanischen Reich in der Zeit des 19. Jahrhunderts allerdings dramatisch ändern. Das im Niedergang befindliche Osmanische Reich bezichtigte die Armenier der Konspiration mit dem Zarenreich, das seinen Expansionsdrang in Richtung der osmanischen Einflusszone vermehrt ausweitete. In der Folge verschlechterte sich die Situation der Armenier derart, dass sich zu Ende des 19. Jahrhunderts und besonders in den Jahren 1915/1916, die Truppen des Osmanischen Kriegsherr die Armenier verfolgten, vertrieben und schließlich ermordeten. Im heutigen Armenien lebt etwa nur ein Drittel der rund zehn Millionen Armenier, die sich auf der gesamten Welt verteilen.
Am Ausgang der Antike verlegte Kaiser Konstantin das Zentrum des Römischen Reichs von Rom ins umbenannte Konstantinopel. Aufgrund der Angriffe von germanischen Volksstämmen aus dem Norden war Rom nicht mehr sicher genug für den römischen Kaiser und seinen Anhang. Die Bürger von Konstantinopel sahen sich in ihrem Selbstverständnis als legitime Nachfolger des Imperiums Romanum, und nannten sich Ost-Römer. Ostrom erlebte einen unglaublichen Aufschwung nach seiner Gründung, und als „Nabel der Welt“ beherbergte es bald 1 Millionen Einwohner. Damit war Ostrom die mit Abstand einwohnerreichste Stadt Europas. Die Byzantiner sprachen griechisch und lebten die griechische Kultur weiter. Der Kaiser von Byzanz herrschte autokratisch und war somit sowohl geistlicher als auch weltlicher Herrscher. Konstantinopel war eine Weltmacht im frühen Mittelalter und missionierte nach christlichem Vorbild das heutige Russland und die Ukraine.
Dabei geriet es in einen Konflikt mit dem katholischen Oberhaupt in Rom. Im Streit um die wahre Vermittlung des Glaubens und die Vorherrschaft im Christentum kam es 1054 zum Schisma, der Trennung der beiden Glaubensrichtungen.
Allmählich erholte sich Westeuropa auch im Hochmittelalter und gewann an politischer und militärischer Stärke zurück. Byzanz eroberte man 1204 während des vierten Kreuzzugs und plünderte die Stadt am Bosporus. Von diesem Schlag erholte sich das Machtzentrum in der Folge nicht mehr. Die Metropole Konstantinopel verlor sukzessive ihren Einflussbereich. Einzig das Gebiet, das von ihren Stadtmauern umgeben blieb, war im 15. Jahrhundert nur noch unter ihrer Kontrolle. Dabei beherbergte Konstantinopel ruhmreiche Bauwerke, welche die Zeitgenossen bestaunten. Riesige Landmauern mit bis zu elf Meter Höhe sorgten dafür, dass eindringende Feind zumeist abgewehrt werden konnten. Das Valenz-Viadukt, dessen Überreste heute noch in Istanbul bestaunt werden könne, sorgte dafür, dass die Stadt mit ausreichendem Frischwasser versorgt wurde, das in der große Halle der unterirdischen Yerebatan-Zisterne seine Lagerstätte fand. Weiterhin besaß die Stadt ein Hippodrom, das 100 000 Besuchern Platz bot. Schließlich ist noch die Hagia Sophia zu nennen, die bis zum Bau des Petersdoms im 16. Jahrhundert die größte Kirche der Christen war. Doch sank Konstantinopel im 15. Jahrhundert, wie bereits erwähnt zur politischen Bedeutungslosigkeit herab, und die Osmanen eroberten sie nach langem Kampf unter Mehmed II. im Jahr 1453.

Literatur:

Brigitte Moser, Michael Weithmann: Landeskunde Türkei. Geschichte, Gesellschaft und Kultur, Hamburg 2008.

Sonntag, 18. September 2011

Eintritt ins Militärleben (Teil 3)

Mit 15 Jahren begann die Militärkarriere von Mustafa Kemal. Er reiste 1895 an die Militärschule nach Monastir in Mazedonien, zu einer Zeit, in der sich im Osmanischen Reich eine Zeitenwende abzeichnete. So protestierte 1895 die jungtürkische Oppositionbewegung gegen die "Armenier-Progrome", worauf sich die Geheimdienstpolizei des Sultans daran machte, die Jungtürken und ihren Einfluss in der Bevölkerung strikt zu unterbinden. Außerdem schlugen die Getreuen des Sultan Abdülhamit II. 1896 einen ersten Umsturzversuch an der medizinischen Militärakademie in Istanbul nieder. Die Angst des Sultans vor einer Revolution wuchs indessen weiter. Schließlich machte man ihn verantwortlich für den Niedergang des Osmanischen Reiches. Sein Hauptaugemerk richtete sich dabei vermehrt auf das Militär; blühte doch besonders in den Militärakademien des Reiches der Widerstand gegen das alte Regime.

Halil Güzbey bezeichnet die Zeit der ersten Militätausbildung 1896-1898 für Mustafa als "die Schule des Lebens". Er lernte wichtige Mitstreiter kennen, die ihn später auf seinem Weg zur Macht begleiteten. Weiterhin kam er mit wichtigen Schriften in Berührung, die sein Denken stark beeinflussten. So las er etwa die Schriften von Rousseau und Robespiere. Nachdem Mustafa Kemal die Militärschule in Monastir erfolgreich abgeschlossen hatte, schrieb er sich danach in die höhere Ausbildung an der Kriegsschule in Istanbul ein, und setzte seine militärische Ausbildung fort.

In Istanbul angekommen, werden zwei Geschehnisse sein weiteres Leben stark beeinflussen. Zum einen lernte Mustafa das Nachtleben von Istanbul kennen und schätzen. So neigte er vermehrt dazu, seine Abende in Lokalen bei reichlich Raki zu verbringen und wurde vom Alkohol abhängig. Letztlich war sein exzessiver Alkoholgenuß für seine Gesundheit sehr schädlich und verursachte auch seinen frühen Tod mit. Zum anderen organisierte er sich seit dieser Zeit im Widerstand gegen den Sultan und half bei der Herausgabe der Zeitschrift "Vatan" (Vaterland) mit.

Im Jahr 1905 beendete Mustafa Kemal dann die Generalstabsakademie im Rang eines Hauptmann, um sich danach in Istanbul der Zeitung "Vatan" vermehrt zu widmen. Jedoch dauerte es nicht sehr lange, bis die Herausgeber von einem Spitzel der Geheimpolizei des Sultans verraten wurden und danach In Haft gerieten. Nur dem Einfluss des Vaters von Ali Fuat, einem Mitstreiter von Mustafa Kemal, und dem Herreskommandanten Riza Pascha war es zu verdanken, dass die Freunde nicht aus dem Militärdienst entlassen wurden. Stattdessen schickte man sie nach Syrien; weitab von der Heimat.   

Donnerstag, 11. August 2011

Kindheit und Jugend von Mustafa Kemal

(Teil 2)

Herkunft und Familie

Der genaue Zeitpunkt, wann Mustafa geboren wurde, ist unbekannt. Datiert wird seine Geburt auf das Jahr 1880 oder 1881. Seine ersten Lebensjahre verbrachte Mustafa, wie er von seinen Eltern Zübeyde und dem Zollbeamten Ali Rıza genannt wurde, in der Hafenstadt Saloniki (Thessaloniki). Die Hafenstadt in Makedonien hatte vor 1900 rund 100.000 Einwohner und zählte aufgrund ihrer Lage zu den aufstrebenden Hafenstädten mit einer florierenden Wirtschaft. Auch etablierte sich in der Stadt eine freiere Presse und liberale Stadtgesellschaft, wobei die verschiedenen Religionsgemeinschaften jedoch strikt voneinander getrennt lebten.

Die Mutter von Mustafa hatte vor ihm bereits drei Kinder zur Welt gebracht, von denen allerdings keines überlebte. Nach ihm gebar Zübeyde noch zwei Mädchen, von denen eine ebenfalls frühzeitig verstarb. Nach dem frühen Tod des Vaters 1888, Mustafa war gerade sieben oder acht Jahre alt, sollte seine Mutter später Ragıb Efendi heiraten. Über das Verhältnis zu seinem Stiefvater herrschen unterschiedliche Meinungen. Während Kreiser feststellt, dass Mustafa zunächst den neuen Vater nicht akzeptierte, ihn aber schließlich doch wohlgesonnen war; urteilt Gülbeyaz, dass er mit Ragıb nie „unter einem Dach schlief“.

Schullaufbahn

Mustafa besuchte zuerst die mekteb (Schule) und ging danach auf die Şemsi Efendi-Schule. Später wechselte er auf eine staatliche Schule mit dem Namen Feyziye, weil seine Eltern das Geld für den Privatunterricht an der Şemsi Efendi-Schule nicht mehr aufbringen konnten. Mustafa war ein sehr guter Schüler mit sehr guten Noten, hatte aber zuweilen Probleme mit seinen Lehrern und galt bei seinen Mitschülern als Eigenbrötler.

Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seinem damaligen Lehrer Kaymak Hafız, verließ Mustafa die Schule und kehrte nicht mehr an sie zurück. Stattdessen schrieb er sich, zunächst gegen den Willen seiner Mutter, an einer Vorbereitungsschule für das Militär ein, der Askeri Rüşdiye. Hier fand Mustafa Bestätigung für seine Leistungen und Fähigkeiten. Zudem wurde ihm schnell Verantwortung übertragen, indem er das Amt eines müzakereci (Tutor) erhielt. Auch aufgrund des Erfolges akzeptierte seine Mutter den Entschluss ihres einzigen Sohnes sich zum Soldaten ausbilden zu lassen. Mit dem Eintritt ins Militär begann der Aufstieg des Mustafa Kemal, wie er sich seit seiner Schulzeit nannte. Die vorbereitende Soldatenschule beendete er als vierbester unter allen Absolventen im Jahr 1896.

Generell ist wenig über die Kindheit Atatürks bekannt und zum größten Teil ist das Wissen über seine Jungend einzig durch seine eigenen Schriften und Äußerungen überliefert. Atatürk entstammte einer mittelständischen muslimischen Familie, in der türkisch gesprochen wurde. Auffällig war seine äußere Erscheinung, er hatte blaue Augen und helles Haar wie seine Mutter. Mustafa musste früh lernen mit dem Verlust seines Vaters umzugehen und eigenständig handeln. So traf er auch seine Entscheidung, zum Militär zu gehen, selbstständig und gegen den Willen seiner Mutter. Das Militärwesen muss ihn als Jungen sehr angesprochen haben und er legte bereits frühzeitig seinen beruflichen Werdegang fest, den er danach konsequent verfolgte. Infolge der Bestätigung und des schulischen Erfolgs wurde er noch darin bekräftigt, die richtige Entscheidung für sich getroffen zu haben. Das verspätete Verständnis seiner Mutter für seinen Entschluss dürfte ihn ebenfalls Mut gemacht haben.

verwendete Literatur:


Dietrich Gronau, „Wir werden eine Republik“ – ein Tag im Leben des Kemal Atatürk. Eine biografisches Porträt, Freiburg 2009.
Halil Gülbeyaz, Mustafal Kemal Atatürk. Vom Staatsgründer zum Mythos, Berlin 2003.
Klaus Kreiser, Atatürk. Eine Biographie, München 2008.
Andrew Mango, Atatürk. The Biography of the Founder of modern Turky, London 1999.

Freitag, 5. August 2011

Im Anfang war Atatürk. (Teil 1)

Die Geschichte der türkischen Republik ist mit einem Namen verbunden: Mustafa Kemal Atatürk - Vater der Türken und Gründer des modernen türkischen Staates. Wer war dieser Mann der 1880 oder 1881 in Saloniki (das genaue Geburtsdatum ist unbekannt) geboren wurde, und einer muslimischen Familie aus dem Mittelstands entstammte. Viele Mythen ranken sich um das erste Staatsoberhaupt der Türkei, welches das osmanische Reich radikal reformierte und sein Volk an den Westen und seine Weltauffasung anband.

Atatürk gab sich stets große Mühe sein Bild des Visionärs und weltmännischen Staatsmannes in der türkischen Öffentlichkeit zu festigen und im Geschichtsgedächtnis seiner Landsleute fest zu verankern. Dabei sah sich Atatürk vor allem als Retter und Wegbereiter der türkischen Nation, die er nach seinen Vorstellungen fast im Alleingang nach dem Ersten Weltkrieg gründete. Eine Darstellung der Ereignisse nach 1918 aus der Sicht des Republikgründers und ein wichtiges Dokument über die Person Atatürk ist die 37-stündige "Große Rede", die er zwischen dem 15. und 20. Oktober 1927 hielt. Darin erklärte er, dass "es für die türkische Nation besser ist, unterzugehen, statt in Gefangenschaft zu leben. Demzufolge konnte es nur heißen: Unabhängigkeit oder Tod!" Die martialischen Wörter erinnern an die Ausprüche anderer Revolutionäre, wie etwa die der kubanischen Umstürzler, die für sich ebenfalls die Parole ausgaben: Tod oder Siegen! Und dabei Siegesgwiss noch anfügten: Venceremos! (Wir werden siegen!)

So sah sich Atatürk als siegesgewißer erster Revolutionär der modernen Türkei und strebte danach, dass sein politisches Erbe gewahrt blieb: "Unser bis heute erreichtes Ergebnis ist in der Gegenwart für das Erwachen aus nationalem Leid, unter dem unsere Nation seit Jahrhunderten gelitten hat, und für das Blut, mit dem jeder Fußbreit des Bodens dieses teuren Vaterlandes getränkt ist. Dieses Ergebnis vertraue ich der türkischen Jugend an. Oh, türkische Jugend! Deine erste Pflicht ist es, die türkische Unabhängigkeit und die Türkische Republik auf ewig zu beschützen und zu verteidigen."

Atatürk betonte in seiner Rede, dass die türkische Jugend die Aufgabe übernehmen solle die Ideen der Republik zu bewahren, nicht aber das Militär. Allerdings verstanden sich die türkischen Generäle und ihr Gefolge als einzige Hüter des Nachlasses Atatürks, eine Aneignung von Geschichte, welche die türkische Gesellscchaft bis heute belastet.

Doch zunächst soll der vielschichtigen Person Kemal Atatürk, in den nächsten Kapiteln nachgegangen werden, der zweifellos zu den größten Staatsmännern des 20. Jahhunderts gehört. Dabei soll neben den Erfolgen des Staatsgründers auch die Probleme beschrieben werden, die er den Türken hinterließ.

Zitate zu finden:

Mustafa Kemal Atatürk, Die Große Rede, in: Hundert Jahre Türkei. Zeitzeugen erzählen. Hülya Adak / Erika Glassen (Hg.), Zürich 2010, S. 114-125, hier: S. 120 und 124.

Dienstag, 26. Juli 2011

Basislektüre zur türkischen Geschichte

Für den Einstieg in die türkische Geschichte werden hier zwei Bücher empfohlen:
Einen umfassenden Rundumblick über die türkische Historie bietet der Band "Kleine Geschichte der Türkei" von Klaus Kreiser und Christoph K. Neumann. Auf etwas mehr als 500 Seiten beschreiben die beiden Autoren die Geschichte der Türkei von ihren Anfängen bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Den einzelnen Kapiteln geht jeweils ein knapper Epochenüberblick voran, der über die wichtigsten Ereignisse und Strukturen Auskunft gibt. Danach folgt eine Tabelle mit den wichitgsten Ereignissen und einem Text, der sich tiefer mit der jeweiligen Epoche beschäftigt. In insgesamt sieben Kapiteln beschreiben die beiden Autoren die historische Entwicklung des Osmanischen Reiches und der Republik Türkei. Als einführende Lektüre bietet sich die "Kleine Geschichte der Türkei" auch deswegen an, weil das Buch über ein aktuelles Literaturverzeichnis verfügt.

Das zweite Buch zur Einführung in die türkische Geschichte ist ein ins Deutsche übersetzter Quellenband: "Hundert Jahre Türkei. Zeitzeugen erzählen". Darin schildern Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen ihre Sicht über die Türkei. In Presseartikeln, Reden, Tagebucheintragungen, Memoiren und Pamphleten werden Geschichten aus der Türkeit erzählt.

Literatur
Klaus Kreiser, Christoph K. Neumann: Kleine Geschichte der Türkei, 2. aktualisierte Aufl., Stuttgart 2008.

Hülya Adak, Erika Glassen (Hg.): Hunder Jahre Türkei. Zeitzeugen erzählenn, Zürich 2010.

Samstag, 23. Juli 2011

Willkommen beim Türkeigeschichtsblog!

Der Türkeigeschichtsblog nimmt die Geschichte der Türkei in den Blickpunkt und wird aktuelle geschichtliche Themen rund um die Türkei kommentieren. Vor fast 90 Jahren, am 29. Oktober 1923, rief Mustafa Kemal die Republik Türkei aus. Diese versuchte sich durch umwälzende Reformen auf Druck ihres ersten Staatsoberhaupts ihres historischen Umhangs des Osmanischen Reich schnell zu entledigen.

Auf ihrem weiteren Geschichtsverlauf sind die beiden Staaten Türkei und Deutschland immer wieder eng miteinander verwoben gewesen. Alleine die Tatsache, dass Millionen Menschen aus der Türkei ihre neue Heimat in Deutschland gefunden haben, verbindet die beiden Völker heute und erst recht in der Zukunft.

Trotz vielschichtiger Verbindungen herrscht in Deutschland meiner Meinung nach immer noch ein großer Mangel an geschichtlichem Wissen über die Türkei. Diese Geschichts-Lücke, die auch bei vielen Jugendlichen mit türkischen Wurzeln vorhanden ist, soll mit diesem Blog versucht werden zu schließen.